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Demenz: Ich will nach Hause zu meiner Mutter

Demenz: „Ich will nach Hause zu meiner Mutter!“ – Vier Wege, wie du darauf reagieren kannst

Menschen, die an Demenz erkrankt sind, wissen oft nicht mehr, wie alt sie sind oder wo sie wohnen. Wie kannst du ihnen richtig begegnen?
Viele altersverwirrte Menschen und Menschen mit Demenz wissen noch, wer sie sind, aber sie wissen nicht mehr, wo sie sind und leben in einer anderen Zeit. Wenn sie zum Beispiel ihre Mitbewohner im Pflegeheim sehen, sagen sie: „Es ist ja ganz nett hier, aber hier sind ja nur alte Leute und jetzt muss ich nach Hause zu meiner Mutter.“

Heute möchte ich auf eine Frage eingehen, die mir in diesem Zusammenhang schon oft gestellt wurde.

Wie gehe ich als Tochter oder Sohn damit um, wenn mein alter Vater sagt: „Ich muss nach Hause zu meiner Mutter!“

Ganz wichtig ist es dabei, zu erkennen, dass sich hinter diesem Satz ein bestimmtes Bedürfnis verbirgt. Auch wenn dieser Wunsch für dich nicht logisch erscheint. Je besser du es schaffst, auf dieses Bedürfnis einzugehen, umso besser kann das Verhältnis zwischen dir und deinen alten Eltern sein.

Du solltest dich zunächst einmal fragen: „Worum geht es hier eigentlich? Was ist mir wichtig? Möchte ich objektiv Recht behalten, oder möchte ich ein vertrauensvolles Verhältnis zu meinem Vater, zu meiner Mutter aufbauen oder erhalten?“

Ich zeige dir vier unterschiedliche Möglichkeiten, diesem Wunsch zu begegnen – und welche Auswirkungen diese Reaktionen auf dich und deine Eltern haben.

1. Realitätsorientierung (nicht empfehlenswert)

Als Tochter oder Sohn ist dein erster Impuls häufig, deinen verwirrten Vater von der „richtigen“, deiner eigenen Realität zu überzeugen: „Aber Papa, du bist doch hier zu Hause. Und überleg doch mal, wie alt du selbst bist. Dann müsste deine Mutter ja schon über 120 Jahre alt sein. Deine Mutter ist schon lange tot.“

Oft wird als Argument für den Einsatz dieser Realitätsorientierung genannt, dass das dem alten Menschen Struktur und Orientierung geben soll. Aber das Gegenteil ist der Fall. Denn wenn dein Vater nach Hause zu seiner Mutter möchte, dann ist genau das seine objektive Realität.

Wenn du ihn dann korrigierst, schämt er sich, dass er das vergessen hat und, was noch viel schlimmer ist – er erlebt den Schock und die Trauer über den Tod der eigenen Mutter gerade so, als ob er zum ersten Mal davon erfährt. „Oh Gott, meine Mutter ist tot?!?“

Vielleicht wird er dich beschimpfen „Du lügst!“. Oder sehr traurig sein und sich schämen, dass er das vergessen hat. Und auch wenn er vielleicht nach kurzer Zeit vergessen hat, warum er so traurig ist, das Gefühl von Verlust und Trauer bleibt bestehen. Und das Gefühl, dass du irgendetwas damit zu tun hast.

2. Ablenken (nicht empfehlenswert)

Eine andere Variante kennst du vielleicht aus der Kindererziehung. Das Ablenken. Aber was bei Kindern gut funktioniert, führt bei Menschen mit Demenz zur Frustration. 

„Ja Papa, du willst heim zu deiner Mutter. Aber erst mal gibt es eine schöne Tasse Kaffee und dann machen wir einen kleinen Spaziergang. Schau mal, draußen scheint die Sonne und die Vögel singen.“

Bei dieser Reaktion fühlt sich dein Vater einfach nicht ernst genommen. Er will dringend nach Hause zu seiner Mutter und kann jetzt mit Kaffeetrinken und Sonnenschein wirklich nichts anfangen.

Wenn er das Gefühl hat, dass du ihn nicht ernst nimmst, wird er sich dir gegenüber immer mehr verschließen und nach und nach weniger von seinen Wünschen und Bedürfnissen erzählen.

3. Anlügen (nicht empfehlenswert)

Manchmal versuchst du vielleicht, dir mit einer Lüge weiterzuhelfen. „Deine Mutter hat angerufen, sie kommt morgen vorbei. Ich habe sie vorhin noch gesehen“.

Mit dieser Variante kannst du deinen Vater vielleicht für den Augenblick beruhigen, aber das wird nicht lange anhalten. Denn auch wenn dein Vater das vielleicht nicht mehr bewusst erkennt, so spürt er irgendwie, dass das nicht stimmen kann.
Wenn er dann merkt, dass nichts passiert, ist er sehr enttäuscht.

Zum einen, weil seine Mutter doch nicht kommt und zum anderen von dir. Durch diese Lüge wird das Vertrauensverhältnis zwischen euch beiden gestört. Auch hier kann es sein, dass sich dein Vater immer mehr zurückzieht und weniger spricht.

4. Empathisches Begegnen mit Validation

Du nimmst die Aussage deines Vaters ernst und bringst ihn durch einfühlsames Nachfragen zum Erzählen. „Du willst nach Hause zu deiner Mutter? Was musst du dort denn machen? Was willst du deiner Mutter sagen?

Sei mit diesen Fragen einfühlsam und kreativ. Und mache viele Pausen. Es geht nicht darum, Informationen zu sammeln, sondern deinem Vater die Möglichkeit geben, ins Reden kommt. Dadurch fühlt er sich ernst genommen und er kann seine Gefühle und Bedürfnisse mitteilen.

Vielleicht hat er das Gefühl, dass er seiner Mutter noch etwas Wichtiges sagen muss? Vielleicht will er nach Hause, um sie zu trösten? Oder er hat ihr versprochen, zu Hause zu helfen?

Durch das Reden kann er lang angestaute Emotionen ausleben und mit sich selbst ins Reine kommen. Dein Vater wird erleichtert sein, dass du ihn ernst nimmst, und er die Möglichkeit hat, seine eigenen Gefühle auszudrücken. Er wird wissen, dass du jemand bist, der es gut mit ihm meint. Auch später, wenn er sich nicht mehr an euer Gespräch erinnern kann. Das wohlwollende, vertraute Gefühl bleibt.

Diese Variante erfordert ein wenig Übung, weil es eben nicht mehr darum geht, dass du Recht hast, sondern darum, die Realität deines Vaters anzuerkennen. Aber wenn es dir gelingt, so wird er dir weiterhin vertrauen und von sich und seinen Bedürfnissen erzählen. Und dafür lohnt es sich.

Hier noch eine Anmerkung von Eva Helms, Fachberaterin für Demenz: „Das Ausprobieren lohnt sich auf jeden Fall. Denn nur so stellt sich das tiefe Verbundenheitsgefühl ein, das Angehörige und Begleiter erleben können, wenn der Mensch mit fortgeschrittener Demenz sich ganz angenommen fühlt. Ein Gefühl, das die eigenen Batterien wieder auflädt.“

Die Methode der Validation wurde von Naomi Feil in den 1960er-Jahren entwickelt. Sie beruht auf dem empathischen Einfühlen in die Welt der alten, verwirrten Menschen, mit dem Ziel, dass sie sich mit ihren Bedürfnissen gesehen fühlen.

Hier geht es zu meinem Interview mit Naomi Feil, das ich 2015 in Würzburg mit ihr geführt habe.

Und wo bleibst du?

Bei all dem ist es aber auch sehr wichtig, dass du gut für dich selbst sorgst und es schaffst, dich regelmäßig mit anderen darüber auszutauschen. Denn es ist wirklich nicht einfach mitzuerleben, dass man sich mit dem eigenen Vater oder der eigenen Mutter nicht mehr so wie früher unterhalten kann. Und zu akzeptieren, dass eine neue Phase des Miteinanders begonnen hat.

Wenn du das Gefühl hast, dass du alleine nicht mehr weiterkommst, dann  unterstütze ich dich gerne bei deinem ganz persönlichen Thema. Vereinbare hier einen Termin für ein Kennenlerngespräch. Ich freue mich, von dir zu hören. 

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